Album der Woche

Colourgrading bezeichnet den Prozess, in welchem die Farben einer Filmproduktion korrigiert oder erweitert werden. «Unser Hirn macht so etwas Ähnliches ständig mit der Welt um uns herum», sagt bordeaux-lip-Frontmann Neil. «Farben existieren nur in unserem Kopf – unsere Umgebung ist aber auch nicht grau, wie man sich das häufig vorstellt, sondern komplett farblos. Alles, was wir sehen, ist letzten Endes Interpretation. Ich habe keine Ahnung, ob das Glas Rotwein in deinen Augen gleich wirkt wie für mich und es gibt keine Möglichkeit, das herauszufinden.» Eigentlich keine neue Erkenntnis und trotzdem sind es solche und ähnliche Überlegungen, die Neil vor rund einem Jahr während einer leicht psychotischen Episode den Schlaf rauben. Am Tiefpunkt treibt ihn der Gedanke, dass unsere Welt nur eine Computersimulation ist – eine Idee, die übrigens auch Elon Musk vertritt – beinahe in den Wahnsinn und so entscheidet der bordeaux-lip-Sänger, in der Musik nach Antworten zu suchen. «Pure Beschäftigungstherapie, um Angststörungen und schizotypische Tendenzen zu verdrängen», grinst Neil. «Und es hat funktioniert.» «Someday we’ll be fine – i found a treatment for a haunted mind», heisst es im Schlüsselmoment «Film Noir».

«Colourgraded» ist ein diffuser Stream of Consciousness, ein paradoxes Gedankenspiel, geschrieben in einem leicht aufgewühlten Gemütszustand. Im Zentrum des Albums steht dementsprechend häufig die Subjektivität jeder Form von Wahrnehmung, stellenweise mit einem politischen Twist. «If you’re born deaf – what language do you think in?», grübelt Neil im brachialen und gleichzeitig überzuckerten Opener «First At The Scene». Im gleichen Atemzug macht er sich ganz nebenbei über die vermeintlichen Sieger des späten Kapitalismus lustig, die auf dem untergehenden Schiff Limonade trinken und sich dann ratlos fragen, wer nun für die ganzen Kapriolen bezahlen soll. Noch ein Zacken dystopischer klingt «Pizza At Podesta’s», ein Song, der entstanden ist, nachdem sich Neil nächtelang mit der «eigentlich absolut lächerlichen und trotzdem furchteinflössenden» Alt-Right-Verschwörungstheorie Pizzagate befasst hatte. In «Smile At Strangers» hingegen versucht er, unsere westliche Welt durch die Augen eines Geflüchteten zu erfassen: «Who’s afraid of the big, black wolf?» Und natürlich spielt auch das Lieblingsthema eines jeden Songwriters eine elementare Rolle: L’amour.

 

Das komplette Album im Stream

 

Video zum Song «Come Say Bye Before You Leave»