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Muschel-Take-away in der Werft in Romanshorn?

Für manche sind sie eine Delikatesse, für andere eine grosse Plage – Muscheln. Der Schaufelraddampfer Hohentwiel wird die nächsten vier Wochen in der Werft in Romanshorn generalüberholt und dabei von über einer Tonne Muscheln befreit. Wie diese fest mit dem Schiffsrumpf verbundenen Muscheln entfernt werden und ob Feinschmecker gar die Muscheln zum Kochen in der Werfthalle abholen können, weiss der Projektleiter der Werft.

«Für einen Muschel-Take-away fehlt uns schlichtweg die Zeit. Alle Mitarbeiter sind mit Arbeit eingedeckt. Bei einer so grossen Schiffsrevision sind alle Tätigkeiten durchgetaktet», erklärt Thomas Friederich, der Projektleiter der Werft. Nebst dem Schiffsrumpf müssen nämlich auch die Decks abgeschliffen, neu versiegelt und kaputte Stellen ausgebessert werden. Zudem wird gemalt, lackiert sowie am Ende alles auf Hochglanz poliert. «Auch in der Werft hatte bis anhin noch kein Mitarbeiter Verwendung für diese Muscheln», lacht der Projektleiter und zugleich Kapitän. Ihm sei klar, dass es Liebhaber dieser Muscheln gebe, denn essbar wären sie auf alle Fälle. Schelmisch ergänzt er: «Nicht einmal Rezepttipps für die Zubereitung von Muscheln könnte ich geben, da ich überhaupt kein Freund von Seafood-Gerichten bin».

Bildquelle: toxic.fm

Muscheln verursachen Probleme aussen wie innen 

Thomas Friederich schätzt, dass sich mindestens eine Tonne Muscheln am knapp 57 Meter langen und 13 Meter breiten Rumpf des Schiffes eingenistet haben. Die meisten Muscheln am Schiff stammen aus der Familie der Dreikantmuscheln. Er erklärt, ein immer grösser werdendes Übel sei die Quagga-Muscheln, da sie immer stärker den Bodensee bevölkere. Diese Muschel stamme ursprünglich aus dem Aralsee, sei braun und gestreift. Die Muscheln sind ein Problem in zweifacher Hinsicht. Einerseits verliert der 365 Tonnen wiegende Dampfer aufgrund des zusätzlichen Gewichts an Geschwindigkeit. Vier Kilometer pro Stunde drosseln die ungebetenen kleinen Passagiere unter Bord das Schiff auf 16 Kilometer pro Stunde. Andererseits haben die Muscheln auch Auswirkungen auf das Schiffsinnere. Thomas Friederich berichtet: «Besonders gerne lassen sich die Muscheln an den Ansauggitter im Rumpf nieder. Da wird Wasser angesogen und ins Schiffsinnere geleitet, um damit zum Beispiel die WC-Spülungen zu bedienen oder um Dampf zu erzeugen. Wenn diese Ansaugstellen durch die Muscheln verstopft werden, dann fehlt auf dem Schiff dieses Wasser.»

Stinkende Muschelsuppe spritzt ins Gesicht

Jetzt steht der Dampfer auf dem Stapel in der riesigen Werft zur Generalüberholung, welche vor elf Jahren das letzte Mal gemacht wurde. An der Hohentwiel hat sich über die Jahre ein bis zu sieben Zentimeter dicker Muschelbefall an der Schiffsaussenschale breit gemacht. «Diese dicke Muschelschicht kärchern wir mit einer Schmutzfräse herunter», erzählt der ehemalige Matrose Thomas Friederich. Er zeigt auf die Muscheln, welche sich fast lückenlos am ganzen Schiffsrumpf ausgebreitet haben. Am Boden liegen bereits haufenweise zersplitterte Muschelschalen. «Besonders ganz zuunterst am Schiffsrumpf sind die von der Putzmannschaft beliebtesten Stellen», sagt Thomas Friederich mit einem ironischen Unterton. Da man sich für diese Arbeit hinknien müsse, fügt er an, spritze es einem die stinkende Muschelsuppe direkt ins Gesicht. Am Ende werden die zersplitterten Muschelreste zusammengewischt, in Kübel abgefüllt und in einer Bauschuttmulde zur Entsorgung gebracht.

Bildquelle: toxic.fm

Dem Kalk mit Säure den Garaus machen 

Ist die Schiffsschale von den Muscheln befreit, zeichnet sich der nächste Arbeitsschritt ab – die Kalkentfernung. Der seit 1995 bei der Schifffahrt tätige Thomas Friederich beschreibt den Vorgang so: «Der Kalk muss mit Säure behandelt werden. Nach einer Einwirkungszeit wird alles heruntergewaschen. Das machen wir in der Werft, damit ja keine Säure oder dreckiges Putzwasser in den Bodensee gelangt.» Er zeigt dabei auf den unteren Teil der Werfthalle, wo der gesamte Dreck in einer Rinne aufgefangen und schliesslich über die Kanalisation in die Kläranlage geführt wird.

Bildquelle: Eingerüstete Schiffsschale zur Kalkentfernung//toxic.fm

Der Kapitän macht einen Aufruf an Erfinder

Der zur Zeit der Titanic erbaute Schaufelraddampfer ist das einzige noch betriebene Dampfschiff und zugleich das älteste noch verkehrende Passagierschiff auf dem Bodensee. Diesen Dampfer von den Muscheln zu befreien, ist eine sehr aufwändige und kostspielige Angelegenheit. Die gesamte Revision des Jugendstil-Dampfers beläuft sich denn auch auf 165’000 Franken. Thomas Friederich ist klar, dass mit der Generalüberholung der Hohentwiel das Thema Muscheln nicht für immer vom Tisch ist. «Irgendein Gerät, mit dem der Rumpf vom Schiffsdeck aus effizient zwischengereinigt werden könnte, wäre eine super Erfindung. Auch ein Roboterfisch, welcher sich zur Muschelreinigung am Schiffsrumpf ansaugt, wäre eine gute Idee», sinniert er. Schmunzelnd ergänzt er, die Reinigung sei dann vielleicht sogar so schonend, dass die Muscheln in der Kombüse frisch für die Schiffsgäste zubereitet werden könnten.

Bildquelle: Hohentwiel auf dem Stapel//toxic.fm
Nicola Knüsel, 2. März 2021